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Das Ideal der reinen Armut

Übersetzt von Lidija Križanac und Ivana Perica


Sie sind schmutzig, der Palankaner ist rein.

 

Sein Leben, durch den Stil beschränkt, mit vorgefertigten Antworten auf längst gestellte Fragen (er wird diese Fragen wiederholen, sie damit in Als-ob-Fragen umformend), ist ein unschuldiges Leben, rein wie nur der verlängerte Infantilismus eines Geistes notwendig „rein“ ist, der für ewig in der Obhut der Älteren „gut aufgehoben“ ist, des Geistes, der noch Geist des treu gebliebenen Sohnes ist, und der, nach vererbten Regeln, sein Leben ausführt. Das Leben ist ein routinemäßiges Leben, sicher dank der Sicherheit, die die Routine bietet. Es ist stilisiert auf eine Weise, wie es nur die Routine stilisieren kann, vorausgesehen durch diese Routine, welche sich zu heilsversprechenden Mustern entwickelt hat.

 

Es gibt keinen Schmutz, da es keine wahre Werkstatt des Musters gibt, in welcher das Muster erst geschöpft würde. Jedes Schöpfertum ist schmutzig, weil es erst ein Suchen der Reinheit (der ungefundenen Reinheit) und des ungefundenen Musters ist. Der Kult der Reinheit ist ein Kult des routinenmäßigen (und routinierten) Lebens. Zwischen Reinheit und Routine herrscht das Zeichen einer machtvollen Kausalität, welche mitunter bis zur endgültigen Übereinstimmung reicht, so dass wir von der Routine vor allem als von der reinen Routine, und von der Reinheit als der routinenmäßigen Reinheit sprechen dürften. In dieser Beschränkung durch den Stil steigert sich der Kult der Reinheit bis zur wahren Manie, und zwar in jeder Hinsicht, in Sachen der materiellen Welt, aber auch in der Sphäre der Ideale der moralischen Werte. Alles ist „alt“, und „altertümlich“, und im Versuch der Treue dem gegenüber, was war, was ist und was dauern sollte, was überleben sollte, wird alles ununterbrochen geschützt, gepflogen, aufbereitet [obdelati], am allermeisten zum Ruhm der reinen Armut, wenn die Armseligkeit mit der Reinheit gleichgesetzt wird, und alles wegen dieser Treue zu Geerbt-Dauerhaftem, zu Ein-Förmigem, und als solches sich jenseits des Todes, des Verfallens und der Verschmutzung durch den Tod Befindlichem.

 

Jede Verwandlung setzt einen gewissen Tod voraus, weil sie einen Verfall voraussetzt, so dass sie daher zwangsmäßig unrein ist. Die Apologie der Dauer ist Apologie der Reinheit. Es gibt keine Auflehnung gegen den Tod, welche nicht zugleich die Auflehnung im Namen der reinen Unschuld wäre. Der Stil neigt  dadurch, dass er sich zum Stil aller zu erheben versucht, und dass er die Einheit seines Subjekts mit der ganzen übrigen Welt verlangt, immer zu Ein-Förmigkeit. Er ist diese Bestrebung nach Unschuld: Nur die Ein-Förmigkeit ist unschuldig. Sie befindet sich jenseits der gegenseitigen Konfrontation von Andersartigkeiten und jenseits des Verfalls dessen, was diese Konfrontation nicht überleben kann. Es gibt keinen Geist, der uns so genau diese Funktion des Stils als Funktion der Reinheit (der idealen Unschuld) aufzeigen würde, wie es der Geist der Palanka tut, der ein Geist der ideal reinen Unschuld ist. Wann immer er in uns, die wir in die Welt geworfen sind, spricht, spricht er in leidvoller Sehnsucht nach Reinheit. In die Palanka zurückzukehren heißt für uns, in der Krise unserer Welt und in der Krise von uns selbst in die verlorene Unschuld zurückzukehren.

 

In der Vorstellung dieser Sehnsucht nach der Palanka erscheint der Geist der Palanka als Geist der Engelsreinheit und des Friedens in dieser Reinheit, er gestaltet sich nicht zufällig als Geist des Engels der reinen Seligkeit, welcher niemals und unter keinen Umständen Goldmund genannt werden könnte: Er ist so selig, dass er nicht spricht, dass er nicht einmal einen Trieb zum Sprechen hat. Seine nicht-sprechende Reinheit versengt den Geist und macht das Gewissen zum derben Gewissen der Schmutzigen. Diese Reinheit besteht aus der Materie der Schmutzigkeit, der Materie des Todes. Sogar wir selbst sind schmutzig: anstatt in der Reinheit zu schweben, so wie es dieser ideale Geist tut, rufen wir nur mit Sehnsucht nach ihm. Auch die Sprache ist schmutzig, und das nicht nur deshalb, weil sie niemals „sagen“ kann, und diese Unschuld nicht wiederholen kann, sondern weil sie mit dem Tode tief durchsetzt ist: Das Sprechen ist eine unaufhörliche Verwandlung desjenigen, der spricht, und dessen, wovon gesprochen wird. Das Sprechen ist Bewegung und Prozess, getragen vom System einer fortwährenden Entgegennahme und Verwerfung. Im Sprechen kommen die Dinge zur Welt, weil sie darin aus der Welt gehen. Das Sprechen kann niemals so wohl behüten, wie das ein Wörterbuch tut. Die Sprache ist kein Wörterbuch, so dass die erwünschte Treue zum Wörterbuch nicht einmal möglich ist. Das Sprechen ist Versuchung und Verrat am Wörterbuch als einer absolut-statischen Welt der Wörter, die eben Wörter sind, weil sie der Dauer treu sind, aber die das Sprechen gerade deshalb entgegennimmt, weil es auf seinen Wegen der Verwandlung als der Suche nach dem Wesen selbst eben das erfordert, was dauert, was sich ändert. Sogar ein Versuch der Treue zum Wörterbuch als einer idealen Konstante des Dauernden, die anscheinend versucht, sich in diesem Dauernden zu verkörpern, stellt durch den Fall des Wortes in den Satz, in den Sog des Satzes, die „Preisgabe“ des Wörterbuchs dar.

 

Der Satz verwandelt die Wörter und dadurch verschmutzt er sie auch. Er ist die Verschmutzung der idealen Unschuld seliger Wörter, die aus der Seligkeit des Wörterbuches herausgerissen wurden. Die Welt der Palanka, gesehen im Lichte ihrer  eigentlichsten Bestrebung, welche die Bestrebung nach Dauer ist, versucht aus dem Satz ins Wort zurückzukehren, aus dem Sprechen ins Wörterbuch, sie versucht so zu schweigen, wie das Sprechen des Wörterbuchs außerhalb des Satzes das Sprechen des Schweigens ist.

 

Idealiter ist die Welt der Palanka die Welt des reinen Schweigens, die Welt einer willentlich angenommenen Armut, zu der das Schweigen aufruft, und zu der das Schweigen in der Ablehnung des Satzes aufruft, der den Reichtum nur deshalb kennt, weil er das Sterben und den Tod als solch einen „schmutzigen“ Tod kennt. Es gibt keinen Einklang von Reinheit und Reichtum, weil es keinen Einklang von Reinheit und Tod gibt. Dort, wo der Reichtum ist, ist immer der Tod, weil der Tod immer ein Verschwenden der Fülle ist, und ihre ununterbrochene Erneuerung. Angesichts der Erneuerung entsetzt ist der Geist der Palanka auch angesichts des Reichtums entsetzt. Manchmal wird er (in seinen Versuchungen, seinen Krisen) auch ein Wort von seiner Armseligkeit sprechen. Er wird sich sogar darüber beklagen. Aber seinem Wehklagen über die eigene Armseligkeit darf man keinen Glauben schenken: Er will diese Armseligkeit und er muss sie wollen, so wie er auch die Ein-Förmigkeit will, und die stilistisch vervollkommnete Routine, deren Vollkommenheit ausschließlich in der Einfachheit des Geistes der Palanka liegt, in der endgültigen Beschränkung auf das Notwendigste, das Elementare.

 

Falls der Geist der Palanka aus dem Satz zum Worte zurückkehrt und versucht, aus dem Sprechen zum Wörterbuch zurückzukehren, in welchem die Dinge mit der Ewigkeit vertraut sind, verschlossen in ihrer dauernd-unveränderlichen Bedeutung, dann deshalb, weil er gezwungen ist, zum Elementar-Ursprünglichen zurückzukehren, wo seinem Empfinden nach die Sicherheit am stärksten ist. Jenes Elementare, welches der Ur-Grund der Dinge ist, ist das Wesentlich-Erfahrungsgemäße. Die Erfahrung ist die Verwerfung des Überflüssigen, ihre grundlegende Methode ist die Methode der Selektion, die das weniger Wichtige vom Wichtigeren scheidet. Die Sicherheit, zu der die Erfahrung führt, begleitet vom Wunsche nach dauerhaften Lösungen, die in der Zukunft gültig sein würden, so wie sie in der Vergangenheit gültig waren, und die durch ihre Gültigkeit diese Zukunft leugnen würden, da sie die Zukunft als der Erfahrung schon bekannt entschleiern würden, so dass die Erfahrung immer schon eine Antwort auf die Zukunft parat hätte – diese Sicherheit simplifiziert bis ins Unendliche. Im Mannigfaltigen gibt es Reichtum, aber keine Sicherheit. Das Mannigfaltige ist immer die Krise der Sicherheit. Die Welt der Palanka bietet sich als ideal simple Welt dar, weil sie eine ideal sichere Welt ist, verschlossen und mit sich selbst vertraut. Als solche ist sie immer schon vorausgesehen, jede Aktivität darin ist notwendig vorausgesehen und das in ihrem geprüft-effizientesten, allerschnellsten und allersparsamsten Aspekt. Wenn hier die Armseligkeit so mächtig ist, dann ist das die notwendige Armseligkeit, welche aus diesem Bedürfnis nach Sicherheit hervorgeht.

 

Die Ordnung der palankanischen Welt, verkörpert in den Dingen der alltäglichen, sinnlichen Erfahrung, in den Dingen der Moral und des Geistes, welcher hier zu überleben versucht, ist nur eine Ausprägung, die mit der Trauer der toten Helligkeit durchsetzt ist, eine Ausprägung dieses elementaren Dranges eines schmerzhaft-bitteren Willens, nach dem das Gebot der verschlossenen Welt als möglicher Imperativ der Existenz (der mit der Existenz verträglich ist) akzeptiert, beziehungsweise die Existenz mit der Dauerhaftigkeit ausgesöhnt werden sollte. Die Hand, welche diese geordnete Welt so sorgfältig in Ordnung bringt, als ob sie in einem unaufhörlichem Kriege gegen eine mögliche Un-Ordnung wäre, gegen den Reichtum des Chaos, welcher aus der „Welt“ lauert, ist immer die Hand des palankanischen Geistes der Ein-Förmigkeit, welcher die Zeit leugnet, und welcher in dieser Leugnung mit bitterem Stolz gleichzeitig das Verhängnis der Armut und das Verhängnis des Anachronismus akzeptiert, weil er darin kein Verhängnis sieht, sondern die Gewähr und das Zeichen seiner Sonderstellung, die einzigartige Weise, jede Versuchung zu überleben, die Sicherheit der Verborgenheit im Stil der Routine und in der stilisierten Routine als der Verborgenheit in der Obhut eines Über-Ich-Geistes des Dauerns, welcher väterlich seine Hand über alles hält, und welcher sich zeigt wie ein beschützender Geist.