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Junge Prosaliteratur aus Slowenien

von Elena Messner und Dominik Srienc

 

Erschienen im Mai 2015, in: "Literatur und Kritik"

Im Folgenden sind Passagen aus dem bereits gedruckten Dossier zu finden, das zudem um weitere Autoren und Autorinnen erweitert wird.

 

 

Südlich von Österreich liegt eine Republik mit 2,1 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, in der jährlich über hundert Romane veröffentlicht werden, sowie eine hohe Zahl an Lyrikbänden, wie auch vielen Essay- und Erzählbänden, die die slowenische Gegenwartsliteratur mit jedem Jahr bereichern. Aus diesem breitgefächerten literarischen Feld möchten wir in diesem Dossier einige Romane und Erzählungen herausgreifen, um einen Einblick in die zeitgenössische slowenische Literaturszene zu gewähren.

Besonders interessiert hat uns bei der Zusammenschau die Frage, ob und wie junge Autorinnen und Autoren auf die soziale und politische Wirklichkeit Sloweniens reagierten. Um die literarischen Welten, die wir vorstellen möchten, besser zu verstehen, wird man einen Blick auf die politischen und literarischen Entwicklungen werfen müssen, die das Land in den letzten beiden Jahrzehnten erlebte.


Slowenien erklärte im Juni 1991 nach einer Volksabstimmung seine Unabhängigkeit von Jugoslawien, die es nach einem kurzen 10-Tage-Krieg auch erreichte. Die bewaffneten Konflikte nahmen im Vergleich zu den folgenden Kriegen im ehemaligen Jugoslawien ein rasches Ende. Während in der Presse und Publizistik der neu gegründeten Republik dieser Krieg bzw. die Unabhängigkeit Sloweniens zu wichtigen Themen wurden, wurde all dem in den literarischen Diskursen erstaunlich wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht. Dies fällt vor allem auf, wenn man die slowenische Literatur mit den Literaturen in Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Serbien vergleicht, in denen die Kriege und die Auflösung Jugoslawiens als Thema literarischer Texte in den letzten Jahrzehnten vorherrschte. Viele der literarischen und publizistischen Debatten schwenkten in Slowenien stattdessen nach dem 10-Tage-Krieg sehr rasch hin zu Fragen nach der Positionierung slowenischer Kultur im breiteren Kontext eines »gemeinsamen Europa« um, was mit der politischen Rhetorik dieser Zeit und den politischen Projekten der folgenden Regierungen konform ging. 2004 trat Slowenien der NATO bei, im selben Jahr wurde es Mitglied der EU.

Wenn aber auch das Interesse an literarischen Thematisierungen der Kriege und Konflikte oder der Frage nach der (Nicht-)Zugehörigkeit zum jugoslawischen Staat in Slowenien im ersten Jahrzehnt nach der Unabhängigkeit als gering eingestuft werden kann, hatte die politische Loslösung von Jugoslawien dennoch einen gravierenden Einfluss auf die Literaturszene. Den jugoslawischen Konflikten der 1990er-Jahre gingen seit den 1980ern zunehmende wirtschaftliche Instabilität und Probleme voraus, die ihren Höhepunkt 1989 mit der Hyperinflation erreichten. Bereits mit dieser ökonomischen Krise begann sich das jugoslawische, und damit auch das slowenische, Verlagswesen stark zu verändern. Da mit der Auflösung Jugoslawiens der frühere Buchmarkt nicht nur zusammen-, sondern auch auseinanderbrach, musste das Distributionssystem in Slowenien entsprechend der neu entstandenen Staatsgrenzen geregelt werden, auch wurden die einst staatlichen Verlage nach dem Gesellschaftsrecht umstrukturiert.

Die Literaturwissenschaftlerin Alojzija Zupan Sosič betont in ihrem Überblick zur Gegenwartsliteratur, dass die Auflagenzahlen radikal schrumpften. Publizierte man zu Zeiten der SFR Jugoslawien Bücher in einer Auflagenstärke von etwa 10.000 Stück, begannen in den letzten Jahrzehnten verschiedene Verlage zwar eine große Zahl an neuen Büchern zu veröffentlichen, jedoch sanken die Auflagenzahlen extrem. Heute wird ein Roman in Slowenien mit einer Auflage von 500 Stück für einen Markt von knapp über zwei Millionen gedruckt. Dafür werden proportional weit mehr Bücher auf den Markt geworfen als vor der Unabhängigkeit. Zupan Sosič bezeichnet die Buchproduktion Sloweniens in diesem Zusammenhang als »megalomanisch«, wobei sie betont, dass triviale Unterhaltungs- und Ratgeberliteratur den Markt bestimmen, der den Regeln des Neoliberalismus folgt.

Ljubljana, Hauptstadt und kulturelles Zentrum Sloweniens
Ljubljana, Hauptstadt und kulturelles Zentrum Sloweniens

Durch diese Veränderungen erreicht heute zwar weiterhin viel anspruchsvolle Literatur den Markt, sie erreicht aber nur ein verhältnismäßig kleines Publikum. Die finanzielle Lage der Schreibenden ist trist, da sich – in diesem Sinne hat Slowenien den »westeuropäischen« Markt sehr rasch »eingeholt« – immer weniger Verlage für die Veröffentlichung nicht-kommerzieller Belletristik entscheiden. Auch sank insgesamt die Aufmerksamkeit für Literatur im Vergleich zu kommunistischen Zeiten, als den »kritischen Intellektuellen« große Bedeutung zugemessen wurde. In den Medien jedoch hat die literarische Szene – wie die Übersetzerin Urška P. černe beobachtet – verglichen mit anderen Kunstsparten einen privilegierten Platz inne. Ein für den kleinen Literaturmarkt Sloweniens bedeutender Literaturpreis ist etwa der »Kresnik«, der seit 1991 jährlich vergeben wird, seit 1994/95 von der Tageszeitung »Delo«, die mit dafür verantwortlich ist, dass dieser Preis zumindest kurzfristig große mediale Aufmerksamkeit für die nominierten Romane garantiert. černe berichtet, dass das mediale Interesse für unterschiedliche Sparten der Literatur noch durch weitere relevante Preise kreiert wird, etwa durch den von der Tageszeitung Vecer vergebene Preis für Jugendliteratur »Večernica« oder den Literaturpreis »Vilenica«; zudem tragen auch Festivals zur Aufmerksamkeit bei, wobei das Prosafestival »Fabula« als das medieneffizienteste gelten kann.

Heute ist man sich in Slowenien uneins in der Bewertung, ob der Buchmarkt immer noch in seiner »Transition« stecke oder sich in dem Sinn »normalisiert« habe, als er typische Merkmale neoliberaler Logik und literarischer Globalisierung aufweise, die etwa auch den Buchmarkt in Österreich und Deutschland prägen. Die Tatsache, dass der ökonomisch relativ schwache Staat dieser Marktlogik nicht wie etwa in Österreich, Deutschland oder der Schweiz durch Subventionen und Druckzuschüsse entgegenwirkt und anspruchsvolle Verlagsarbeit unterstützt, bleibt ein Problem. Zwar gibt es auch in Slowenien staatliche Subventionen, diese sind jedoch niedrig bzw. erreichen nicht alle Verlage. Dass besonders das Kulturbudget sehr gerne und immer wieder radikal gekürzt wird, während andere Bereiche großzügig weitersubventioniert werden, wird kaum überraschen. Als relevant für die Stabilisierung und Entwicklung des Buch- und Literaturmarktes in den letzten 20 Jahren war die Gründung der slowenischen Buchagentur (Javna agencija za knjigo, JAK), die seit 2009 tätig ist und als ein Teil des slowenischen Kulturministeriums die Aufgabe hat, die slowenische Literatur und ihre
Autoren zu fördern und zu unterstützen. In den Aufgabenbereich der Agentur fallen etwa die Vergabe von Autorenstipendien, die Förderung des Buchverkaufs, Leseförderung bei Kindern und Jugendlichen, die Unterstützung der Bibliotheken und die Förderung der Übersetzung slowenischer Literatur im Ausland durch Veranstaltungen, darunter auch die Präsenz auf Buchmessen usw.


Dennoch bleibt der slowenische Literaturmarkt ein hartes Pflaster. Eine der größten Herausforderungen wird in jedem Fall das zahlenmäßig geringe potenzielle Lesepublikum des kleinen Staates bleiben, das die niedrigen Auflagenzahlen erklärt. Anzunehmen ist andererseits, dass in Slowenien mehr Bücher gelesen als gekauft werden und die Auflagenzahlen eben keine genaue Auskunft über das tatsächliche Leseverhalten geben. Jedenfalls ist es insgesamt angesichts der schwierigen Marktlage erstaunlich, wie vielfältig und lebendig die unter wid rigen Bedingungen entstehende slowenische Gegenwartsliteratur geblieben – oder geworden – ist.


Lassen wir die Markt- und Produktionsbedingungen dieser Literatur beiseite und sehen wir uns die inhaltlichen und formalen Spezifika der Texte an, die in Slowenien in den letzten zwei Jahrzehnten entstanden sind. Während die slowenische Literatur bis in die 1980er Jahre hinein oft eine zentrale politische Funktion innehatte (die Zupan Sosič als »nationalaffirmativ« bezeichnet, was ein wenig zu kurz greift, denn die politische Ausdifferenzierung innerhalb der Literaturszene war bereits seit den 1970ern enorm), änderte sich dies mit der Unabhängigkeit sehr stark. Heute übernimmt Literatur vielmehr die Rolle eines Ortes der Intimität und des individuellen Erlebens. Nicht »große« politische Themen rund um politische Entwicklungen wie die Europäisierung, die Unabhängigkeit, Nationalstaatlichkeit Sloweniens oder aber der einbrechende Kapitalismus, Neoliberalismus oder die Globalisierung rücken ins Zentrum vieler Texte. Gesellschaftliche Problematiken werden vielmehr – gerade von einer jungen Generation – eher in den Hintergrund gerückt und lediglich durch die Perspektive einzelner Protagonistinnen und Protagonisten stark gefiltert wiedergegeben; oft fällt die starke Subjektivität der Perspektive mit autobiografistischen Schreibstrategien zusammen.

 

Andererseits erkämpften sich, so der Literaturwissenschaftler Andrej Leben, insbesondere marginalisierte Gruppen in der slowenischen Gesellschaft – langsam, doch stetig – Aufmerksamkeit und rückten damit auch in den Vordergrund einer »neuen« politisch interessierten Literatur. Seit den späten 1980ern und insbesondere der 1990er-Jahre gibt es etwa einen Aufschwung an Schwulen- und Lesbenliteratur (heute LGBT genannt); aber auch Menschen mit besonderen Bedürfnissen, soziale Außenseiterinnen und Außenseiter, ethnische Minderheiten oder Zugewanderte gewannen im literarischen Feld an Bedeutung und machten dadurch auch neue Themen- und Diskussionsfelder in der Gegenwartsliteratur auf.


In den 1980er Jahren galt noch die Kurzprosa als die produktivste Gattung, in letzter Zeit aber wurde die vorherrschende Gattungsform wenig überraschend der Roman, an der Spitze einer literarischen Phalanx, die bis in die Gegenwart durchaus noch postmodernistischen Elementen verhaftet war und ist. Nicht nationale Identität wird in der jüngsten Literatur verhandelt, sondern es sind individuelle »kleine Geschichten« des Privaten und Intimen: Fremdheit, Langeweile, Unzufriedenheit, Liebeskummer, Verlust der Individualität. Unter den Romanen dominieren jene mit Liebesthematik, in der Poesie die erotische Lyrik. Gefühl, Selbstsuche oder Identitätskrise, das Individuum und seine Innenwelt beherrschen die jüngste Romanproduktion – diese greift damit auch auf die im 20. Jahrhundert in mehreren Wellen immer wieder aufkommenden Strömungen avantgardistischer Literatur zurück. Dabei bedienen sich die jungen Autorinnen und Autoren zumeist realistischer Formen und zielen in ihren Texten oft darauf ab, das Individuum in seinem Alltag und sozialen Umfeld einzufangen.

Maribor, einst die bedeutendste Industriestadt Sloweniens
Maribor, einst die bedeutendste Industriestadt Sloweniens

Dieser Alltag am Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts ist zumeist von sozialen Spannungen mitbestimmt. So bleibt der slowenischen Literatur ein leises, aber nachdrückliches gesellschaftskritisches Moment erhalten. Oft stellen die Schreibenden durch Ironie, Sarkasmus oder Parodie oder – eher selten – durch Groteske und phantastische Momente auch Distanz zum Erzählten her, dabei bleibt jedoch die Literatur meist leicht lesbar.

 

Ein Beispiel für die junge slowenische Literatur, die sich der Groteske und Phantastik bedient und alltägliche Abgründe des Lebens junger Menschen darstellt, ist der Roman von Nejc Gazvoda »V petek so sporočili, da bo v nedeljo konec sveta« (Am Freitag haben sie gemeldet, dass am Sonntag das Ende der Welt kommt). Der Autor wurde 1985 in Novo mesto geboren und studierte in Ljubljana; beide Städte wurden Schauplätze seiner Prosa. Die Figurenkonstellation und die Handlungsstränge würden auch zulassen, seinen Roman als »Gesellschaftsroman« oder »Gesellschaftsstudie« zu kategorisieren, wobei die Figuren, die dem kleinstädtischen Milieu entstammen – der Roman spielt zuerst in Ljubljana, dann in Novo mesto –, nicht auf determinierende politische oder soziale Probleme hin abgeklopft werden, sondern auf ihr Innenleben, ihre Frustrationen und Schwierigkeiten, ihre Ängste und Hoffnungen. Im Roman etwa dreht sich alles um einen jungen Mann, dessen Misanthropie ihn in die sprichwörtlichen Arme von Spinnen und somit in psychische als auch physische Abgründe treibt. Die Sprache ist knapp gehalten, gehobener Tonfall und Umgangssprache, Flüche und Witze wechseln sich ab, Sprachduktus, die ins Irreale verfallende Handlungsstränge und die dramatisch inszenierten Dialoge wirken ungewöhnlich und irritierend, was dem Roman viel positive Kritik und große mediale Aufmerksamkeit einbrachte.

 

Der Mangel an überzeugenden und starken Frauenstimmen ist definitiv kein Problem, an dem die slowenische Literatur heute leidet. Junge Schriftstellerinnen haben erfolgreich alle Formen und Themen erobert. Sie bedienen sich unterschiedlicher Genres und Gattungen und publizieren in verschieden ausgerichteten Literatur- und Massenverlagen. Eine auch im deutschsprachigen Raum nicht mehr gänzlich unbekannte Autorin ist die 1983 in Maribor geborene Nataša Kramberger, die seit 10 Jahren in Berlin lebt. Mit »Kaki vojaki« [Khaki Soldaten] hat die Autorin eine Erzählung vorgelegt, die aktuelle politische Themen aufgreift – eine Erzählung in Reimen, wie es die Autorin im Untertitel ausweist. Die zahlreichen End-, Binnen- Anfangs-, Echoreime, die den Text rhythmisieren und strukturieren, dienen der Pointiertheit, dem überraschenden, dem komischen und erschreckenden Effekt.


Auch Polona Glavan  sucht in ihren Romanen und Erzählungen nach Wegen, soziales Engagement mit dem Fokus auf Emotionalität und Individualität zu verbinden. Die Autorin ist 1974 in Ljubljana geboren. In der Kurzprosasammlung »Guerillas« von 2004 werden die Figuren, Individuen, die in der Gegenwart einer Großstadt leben, zu den titelgebenden »Guerillakämpfern« in ihrem alltäglichen Leben. In mal humorvollen, mal düster-bedrückenden Kurzgeschichten werden die Abgründe und die Überlebenskämpfe, die sich unter der Alltagsoberfläche moderner Großstadtmenschen finden lassen, skizziert: psychische Krankheiten, Missbrauch, zwischenmenschliche Konflikte dominieren deren Leben.


In der slowenischen Literatur werden »große« politisch-historische Themen in der jüngsten Gegenwartsliteratur so selten thematisiert, dass entsprechende Texte erstaunlicherweise zu exotischen Außenseitern, Skandalen und Bestsellern werden können. Ein prominentes Beispiel dafür ist der 1980 geborene Goran Vojnovič. Nach seiner ersten Gedichtsammlung »Lep je ta svet« [Schön ist diese Welt] (1998) publizierte er sein Romandebüt »čefurji raus!« (2008). Nachdem »čefurji raus!« mit dem »Prešeren«-Preis (2009) und dem »Kresnik«-Preis für den besten Roman des Jahres ausgezeichnet wurde, ranken sich bereits Mythen um diesen slowenischen literarischen Bestseller: der Roman hätte dem Autor fast eine Strafanzeige des stellvertretenden slowenischen Polizeipräsidenten eingetragen. Mit seinem zweiten Roman »Jugoslavija, moja dežela« [Jugoslawien, mein Land], landete er einen weiteren Hit, da sich der Autor politisch-historischen Themen und der schmerzvollen Geschichte »seines Landes« auf freche und zugleich einfühlsame Weise annähert. Die Hauptfigur des Romans, der junge Vladan Borojevič, entdeckt, dass sein Vater nicht, wie ihm erzählt wurde, tot ist, sondern als Kriegsverbrecher gesucht wird. Vladan, der seit seiner Jugend in Ljubljana lebt, beschließt, sich auf die Suche nach seinem Vater zu machen, um herauszufinden, wie aus seinem Vater, einem Offizier der Jugoslawischen Volksarmee, ein Verbrecher wurde, die Suche führt ihn an traumatische Orte seiner Kindheit.


Für die 1981 geborene Autorin und diplomierte Komparatistin Vesna Lemaič ist das Nebeneinander von gesellschaftspolitischem Engagement und literarischer Tätigkeit Ausdruck der Solidarität im Widerstand gegen die Auswüchse des Kapitalismus und der mit ihm einhergehenden wirtschaftlichen Krise. Neben der kreativen Leitung von Trash-Writing-Workshops, ist sie in der autonomen Kulturzone Metelkova in Ljubljana aktiv, wo sie Mitglied der Lesbisch-Feministischen-Universität (LFU) und Gründerin des Lesezirkels Anonymous Readers ist, stets fasziniert von Horror-Literatur. 2008 debütierte sie mit dem Kurzprosaband »Popularne zgodbe« [Populäre Geschichten], für den sie 2009 bzw. 2010 die Preise »Zlata Ptica« und »Fabula« erhielt. Darin treibt sie das Spiel mit literarischen Kurzformen auf die Spitze, der Titel wird zum Programm. Kurzgeschichten werden, so der einleitende Kommentar, mit Elementen unterschiedlichster populärer Genres verflochten, von der Emotional- bis hin zur Horrorstory, geformt stets im Bewusstsein unterschiedlicher Arten der Existenz von Literatur am Beginn des neuen Jahrtausends und in der Tradition eines literarischen Eklektizismus.

Der Triglav, höchster Gipfel und Nationalsymbol Sloweniens
Der Triglav, höchster Gipfel und Nationalsymbol Sloweniens

Mit der Zeit, in der das Individuum heranreifen soll – dem Lebensabschnitt der Adoleszenz mitsamt seiner physischen wie psychischen Entwicklungsprozesse von Bildung und Persönlichkeitsentwicklung – setzt sich Aljoša Harlamov im »Bildungsroman« auseinander. Den 1983 in Ptuj geborenen Autor könnte man rundum als »literarisch gebildet« bezeichnen – 2009 schloss er sein Studium der Slowenischen Sprache und Literatur an der Philosophischen Fakultät in Ljubljana mit einer Arbeit zum »Unzuverlässigen Erzähler in der zeitgenössischen slowenischen Literatur« ab, für die er den »Prešeren«-Preis erhielt, derzeit arbeitet er an seiner Disseration zum »Zeitgenössischen slowenischen Roman«. Er ist Redakteur der Literaturzeitschrift »Mentor«, schreibt Essays, Kolumnen und Kritiken für das Online-Portal »Airbeletrina« sowie Rezensionen für die slowenischen Tageszeitungen »Delo« und die Wochenzeitung »Pogledi« und verwantwortlich für die literarische Anthologie »Poetoviona«, die vom Itadakimasu-Verlag herausgegeben wird. 2014 erhielt er den »Stritar«-Preis, eine renommierte Auszeichnung für junge slowenische Literaturkritiker. Der Hauptprotagonist seines 2009 erschienenen »Bildungsroman« ist ein Bilderbuchstudent – Antiglobalist, Atheist, der Gitarre spielt, auf Schwarz-Weiß-Filme und Schallplatten steht, sowie in langen Dialogpassagen der Kritik an Gesellschaftspolitik, Kapitalismus und der Gefahr neuer Technologien nicht abgeneigt ist.


Die Beispiele, die wir für dieses Dossier ausgewählt wurden und weiterhin werden - das projekt versteht sich als ein weiterwachsendes -, zeichnen klarerweise nur ein sehr selektives Bild der jungen Gegenwartsprosa aus Slowenien. Auszugsweise Übersetzungen und Biografien weiterer junger Autoren und Autorinnen aus Slowenien finden sich online in der »Leseecke« auf www.skica.at. Wer sich andererseits für die Generation interessiert, die den von uns vorgestellten jungen Schreibenden »vorangegangen« ist, die also insbesondere in den 1980er und 1990ern die slowenische Prosaproduktion mitbestimmte, sollte die von Tomo Virk herausgegebene Anthologie »Die Zeit der kurzen Geschichte« zur Hand nehmen. An der Tatsache, dass es der Klagenfurter Drava-Verlag war, der diesen Erzählband veröffentlichte, wird deutlich, dass es fast ausschließlich den österreichischen, insbesondere Kärntner-Slowenischen Verlagen und Übersetzenden zu verdanken ist, dass die slowenische Literatur auf dem deutschen Buchmarkt keine Unbekannte ist und oft ein breites interessiertes deutschsprachiges Publikum fand. An dieser Stelle noch ein Nachsatz: Wir berücksichtigten in unserer Auswahl absichtlich nicht, dass es beispielsweise auch in Italien und Österreich slowenische Literatur gibt. Informationen zu letzterem lassen sich auf www.slolit.at finden.


Die aktuelle Prosa aus Slowenien – das sollte bereits nach diesem kleinen Überblick deutlich sein und die Lektüre der folgenden Auszüge Bestätigung finden können – hat viele Gesichter, mehrere Sprachen und zahlreiche Themen. Mit diesem Dossier wollten wir einer spezifischen Generation von Prosaschreibenden aus Slowenien Platz einräumen. Die Beschränktheit des Platzes zwang uns zur Auswahl, es bleibt aber zu hoffen, dass wir damit ein erstes Interesse auch für die leider nicht in der Auswahl vorgestellte junge slowenische Prosa geweckt haben.

 

Wir bedanken uns sehr herzlich bei Urška P. černe, Alojzija Zupan Sosič und Andrej Leben für kritische Anregungen und hilfreiche Kommentare.