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"Vor dem Lesen sollte man eine Packung Marlboro rauchen"

Gespräch mit Svetislav Basara anlässlich der deutschen Übersetzung seines Kultromans "Die Verschwörung der Fahrradfahrer"

Svetislav Basara ist einer der renommiertesten, aufregendsten und international erfolgreichsten Schriftsteller Serbiens. 1953 in Bajina Bašta, unweit der bosnischen Grenze, geboren, schrieb er mit "Die Verschwörung der Fahrradfahrer" einen jugoslawischen Kultroman, der im Original 1987 erschien. Hocherfreulich ist, dass dieses Stück Meisterprosa nun endlich – mit großer Verspätung – in der beeindruckenden Übersetzung von Mascha Dabić auf Deutsch vorliegt, denn der deutsche Dittrich-Verlag hat es im Frühjahr 2014 in der Edition Balkan publiziert. Die furios erzählte Geschichte beginnt im staubigen Keller einer Bibliothek in der serbischen Provinz und führt den Leser durch das Labyrinth einer fiktiven Dokumentation über eine uralte Bruderschaft. Der Roman ist, so ein Rezensent, "Gesellschafts- und Zivilisationskritik, Ideologie und Parodie ideologischen Denkens, ironische Pseudotheologie und Anprangerung einer gottlosen Moderne, Darstellung des Irrsinns des Menschen, der Gesellschaft, der Geschichte und der Scheinhaftigkeit aller Dinge". Elena Messner hat Svestislav Basara anlässlich der deutschen Übersetzung ein paar Fragen gestellt.

Für die neueste Auflage des Romans, die anlässlich des zwanzigsten Jubiläums der ersten Auflage erschienen ist (1987–2007) haben Sie ein besonders Vorwort geschrieben. Darin unterstreichen Sie zwei wichtige Aspekte, die einen Einfluss auf die Entstehung des Romans Fama o biciklistima" hatten, nämlich, dass man „über die allerernsthaftesten Dinge nur auf eine äußerst unernsthafte Weise schreiben kann“, sowie Ihre bewusste Weigerung, eine durchgehende Struktur aufzubauen – stattdessen orientiert sich die Komposition hauptsächlich an folgenden Prinzipien: „das Fragmentierte, das Halbfertige, das Unfertige“. Literaturkritiker und Literaturtheoretiker sind sich einig, dass der Roman Fama o biciklistima" zu den wichtigsten Werken des Postmodernismus in der serbischen Literatur zählt, möglicherweise ist es sogar das allerwichtigste. Halten Sie sich selbst für einen postmodernistischen Autor oder hat eine solche Definition/Etikette überhaupt eine Bedeutung für Sie als Autor?

 

Klassizismus, Modernismus, Postmodernismus und die anderen „-ismen” zählen zur Domäne der Literaturtheorie, die mich absolut nicht interessiert, obwohl ich auch nichts dagegen habe, wenn Literaturtheoretiker meine Bücher in eine theoretische Kategorie ihrer Wahl einordnen. Wenn die Rede von Theorien ist, denke ich immer an Baudrillards Definition, wonach – ich paraphrasiere – die Theorie eine Falle sei, in welche die Realität hineintappen sollte. Die Realität tappt zu ihrem eigenen und unseren Leidwesen allzu oft in diese scheinbar naiven Fallen. Ich halte die Farce, die Übertreibung und die Unernsthaftigkeit für die allerbesten Werkzeuge, um über die sogenannten „ernsthaften Dinge“ zu schreiben. Auch für diese Behauptung habe ich ein Zitat parat. In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts schrieb ein italienischer Schauspieler und Komiker, der sich der Religion stark verbunden fühlte, einen Brief an Padre Pio, den berühmten Mystiker und Stigmatiker. Darin beschwerte er sich, er sei nicht in der Lage, sich dem Geist zuzuwenden, weil er jeden Abend geschminkt auf die Bühne gehen und sich dort zum Trottel machen müsste. Padre Pio gab ihm die folgende Antwort: „Mein Sohn, diese Skrupel sind unbegründet. Wir alle machen uns zu Trotteln, und zwar an jenen Orten, welche die Vorsehung für uns bestimmt hat.“ Großes Unglück passiert dann, wenn ein Mensch sich selbst und die Welt, in der er lebt, allzu ernst nimmt.

 

Was denken Sie, wie Ihr Roman Fama o biciklistima" (Die Verschwörung der Fahrradfahrer") im deutschsprachigen Raum heute gelesen werden kann? Was könnte der deutschsprachige Leser darin über die aktuelle gesellschaftliche Realität in Serbien/im ehemaligen Jugoslawien erfahren?

 

Ich habe überhaupt keine Vorstellung davon, wie die deutschsprachige Leserschaft den Roman rezipieren könnte. Für mich ist es ein größeres (und wichtigeres) Mysterium, wie die Fama" überhaupt auf Deutsch klingt, also in einer Sprache, die ich leider nicht beherrsche. Außerdem hoffe ich, dass die eventuellen Leser den Roman nicht lesen, um „etwas über die aktuelle gesellschaftliche Realität in Serbien und in Ex-Jugoslawien“ zu erfahren. Darüber können sie sich, falls es sie interessiert – obwohl ich nicht verstehe, warum es sie interessieren sollte – über die Medien oder im Internet informieren. Die Literatur ist eine Realität für sich. Je weniger sie mit der „Aktualität“ zu tun hat, desto besser.

 

Als der Roman entstand (1986–87), benützten Sie eine Metapher für das sozialistische Jugoslawien: Die Große Irrenanstalt mit 20 Millionen Patienten (die Bevölkerungsanzahl des damaligen Jugoslawiens). Welche Metapher wäre passend, um die heutige Position Serbiens und der Länder des ehemaligen Jugoslawiens zu beschreiben, und welche Metapher könnte das heutige Europa, bzw. die heutige Europäische Union beschreiben? Sind Sie noch immer der Meinung, dass die SFRJ eine „Große Irrenanstalt“ gewesen ist, und wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die aktuellen und immer stärker werdenden Narrative der sogenannten Jugonostalgie in fast allen ehemaligen jugoslawischen Republiken?

 

Die Europäische Union erscheint mir zunehmend Jugoslawien ähnlich, wenn auch in einer weniger temperamentvollen und weniger gewalttätigen Version. Der EU liegt eine gute Idee zu Grunde, das war auch bei Jugoslawien der Fall, aber die Frage ist, ob die Realität in die theoretische Falle der Europäischen Union hineintappen wird. Um es kurz zu fassen, ich denke nicht, dass die Welt als Ganzes einer glänzenden Zukunft entgegenblicken kann.

Interessanterweise sind Sie im deutschen Sprachraum bislang nicht nur als Autor zweier Bücher präsent, sondern auch als literarische Figur! Die Rede ist von David Albaharis Kurzgeschichtensammlung Die Kuh ist ein einsames Tier" (Eichborn, 2011). Dort ist eine Geschichte zu finden mit der Überschrift „Svetislav Basara interviewt Samuel Beckett für das Dritte Programm von Radio Belgrad“. Wie fühlt sich Svetislav Basara als Figur in Albaharis Geschichte, noch dazu einer Geschichte, die zum ersten mal vor genau 30 Jahren herauskam (1984 in Albaharis Sammlung „Fras u šupi”)?

 

Jetzt geht es mir gut damit. Als ich die Geschichte zum ersten Mal las, ging es mir nicht gerade gut damit. Es war so: Ich war früh am Morgen unterwegs nach Hause von einem langen Besäufnis und wartete auf den Trolleybus. Bei der Haltestelle kaufte ich in der Trafik die Zeitschrift „Student“, wo diese Geschichte zum ersten Mal abgedruckt worden war. Also … der Trolleybus kam, ich stieg ein, setzte mich hin und blätterte die Zeitschrift „Student“ durch, als ich, noch immer „unter Alkoholeinwirkung“, wie es im Westen so schön heißt, plötzlich eine große Überschrift sah, „Svetislav Basara interviewt Samuel Beckett …“ Was zum Teufel sollte das? War es der beginnende Wahnsinn? Ich brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, was da überhaupt los war. Albahari ist ein derart geschickter Erzähler, dass er durchaus in der Lage ist, einen Mann mit einer Kurzgeschichte zur Strecke zu bringen. Später habe ich ihm allerdings in meinen Romanen und Kurzgeschichten auch ähnliche Fallen gestellt.

 

Ihre neueren Romane sind auf eine direktere Weise politisch engagiert und vom narrativen Zugang her wesentlich realistischer. Wie kam es zu diesem Wandel, sind die Ursachen dafür in Poetik/Literatur oder eher in Politik/Ideologie zu finden?

 

Das ist eine falsche Wahrnehmung. Vielleicht wäre es zutreffender zu sagen, dass sich meine neueren Romane dadurch auszeichnen, dass sie die hiesige Politik und ihre Politiker verspotten, verhöhnen und sich über sie lustig machen. Auch die Deutschen sollten nicht etwa glauben, die aktuelle Politik in Deutschland sei wesentlich ernsthafter. Wenn wir schon bei den Deutschen sind, sollte ich meine Behauptung unterstreichen, indem ich einen Deutschen zitiere: Es war Martin Luther, der in weiser Voraussicht folgende Worte niedergeschrieben hat: „Dort, wo es besser ist, ist es zwei Mal so schlimm".

 

Haben Sie Ihrer deutschsprachigen Leserschaft, die nun endlich die Möglichkeit hat, Ihren bekanntesten Roman zu lesen, irgendetwas Besonderes mitzuteilen? Gibt es eine „geheime Gebrauchsanweisung“ für die Fama"?

 

Wissen Sie was? – vor dem Lesen sollte man eine Packung Marlboro rauchen. Die Verschwörung der Fahrradfahrer" ist kein Roman für Nichtraucher. Ich möchte nicht religiös-politisch inkorrekt erscheinen, aber es ist auch kein Roman für Protestanten. Ich habe eine scheinbar nicht ernsthafte Theorie (die mir mit der Zeit immer ernsthafter erscheint), wonach die Protestanten nicht rauchen dürften, im Unterschied zu den Orthodoxen und Katholiken, die rauchen müssten. In Wirklichkeit rauchen viele Protestanten, während viele Orthodoxe und Katholiken nicht rauchen. Und da haben wir die Verwirrung, und schlussendlich die Pikanterie. Diese Zeilen schreibe ich im Gastgarten eines Restaurants im Dorf Beška nieder, wo ich seit einigen Jahren lebe. Dort bestand die Bevölkerung bis 1945 mehrheitlich aus Deutschen. Sie sind noch immer hier, um mich herum, ich bin umzingelt von Deutschen, das Restaurant ist voll von ihnen, weil die überlebenden Volksdeutschen und ihre Nachkommen schon seit einem Jahrzehnt immer im Juni ihre frühere Heimat besuchen.

 

 

Deutsch von Mascha Dabić

 

Das Gespräch fand im Juni 2014 statt.

 

Svetislav Basara: Die Verschwörung der Fahrradfahrer. Roman. Übersetzt aus dem Serbischen von Mascha Dabić. Dittrich Verlag, Berlin 2014.