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Rosa gegen die Verschwendung der Welt

Nadja Bucher hat einen Roman voll Humor und radikaler  Konsequenz angesichts der scheinbaren Unabwendbarkeit der Klimakatastrophe verfasst. Ein Gespräch über ihre Schreibarbeit.

 

(C) Claudia Rohrauer
(C) Claudia Rohrauer

Liebe Nadja Bucher, im Zentrum deines Romans steht Rosa, die du bereits in einem Vorgängerroman, deinem Debut, ins Zentrum gestellt hast, eine sture, kompromisslose und zugleich so zukunftsoptimistische Figur. Wie baut man so eine Figur – obendrein über mehrere Romane hinweg, und nun nochmal geschärft, wie spitzt man sie im Hinblick auf die Klimakatastrophe zu, wie lässt man sie global und lokal zugleich denken und fühlen? Wer ist Rosa überhaupt – für dich und für uns?

 

Ich sehe Rosa weniger stur als konsequent, weniger optimistisch als sehr gut informiert über Klimaforschung, Umweltverschmutzung und Artensterben. In meinem Debütroman (2011) ging es mir ursprünglich um die Frage, was von einer Person durch ihre (Wohn-)Umgebung erfahrbar ist und welche womöglich falschen Rückschlüsse gezogen werden, wenn einzig von vorgefundenem Material ausgegangen wird. Dafür benötigte ich eine Figur, die wiederkehrend Zugang zu fremden Wohnungen hat, aber selbst keine Spuren hinterlässt. Ich kam rasch auf eine Putzfrau, die sehr gründlich arbeitet, so gründlich, dass sie auch keinen (oder einen sehr geringen) ökologischen Fußabdruck hinterlassen will. Sie hatte also plötzlich eigenen Willen und Anschauungen. Von dieser Prämisse ausgehend, ging ich immer detaillierter in die Charakterisierung der Figur, speziell was deren Alltag und Lebenseinstellung betraf.

 

Welche Art der schreibenden, produktiven Fixierung auf eine Protagonistin hast du entwickelt, um sie über Jahre in verschiedenen Texten mitzutragen?

 

Zehn Jahre nach meinem Debüt hat das Thema Umwelt- und Klimaschutz zwar eine mediale Verschiebung von randständig hin zu Mainstream erfahren, doch globale Emissionen und ökologische Auswirkungen des menschlichen Wirtschaftens sind vorangeschritten, als hätte niemand zugehört. Deshalb musste ich Rosa erneut „verwenden“. Diesmal für eine moralisch-emotionale Frage: Wie ergeht es einer Person, die versucht, keinen ökologischen Schaden anzurichten, obwohl sie weiß, dass die globale Entwicklung auf die maximale Katastrophe zusteuert.

Da Rosa in der Stadt wohnt und nicht als Einsiedlerin im Wald, wird sie zwangsläufig mit den Lebensrealitäten der sie umgebenden Menschen konfrontiert. Sie ist ein sehr moralischer Mensch, die ihre Verantwortung auch auf außermenschliche Lebewesen ausgeweitet hat – daher denkt sie global. Sie ist allerdings auch Realistin, weshalb sie von der Limitierung ihres Einflussbereichs weiß, was sie lokal handeln lässt.

Rosa stellt für mich einen Ausgangspunkt für das Ideal der maximal erreichbaren Lebenshaltung dar und fungiert dadurch als Richtschnur. Bei allen neuen „zeitgeistigen“ oder ökonomischen Entwicklungen kann ich daher fragen: Was würde Rosa darüber denken?
Sie ist eine Figur, die sich mir zur Verfügung stellt. Ich kann mit ihr Versuchsanordnungen durchspielen, weil sie so konsequent ist. Doch als Einzelne in einem unmoralischen System, ist ihr das Scheitern zwangsläufig eingeschrieben.

 

Welche Art der Recherche war für deinen Roman nötig?

 

Es ist eine kontinuierliche Recherche notwendig, punktuell intensiviert während der Arbeit an den Romanen. Ich lese dafür sowohl Zeitungsartikel, als auch Fachliteratur (aus Ökonomie, Ökologie, Soziologie und freilich Philosophie), schnappe aber auch Radiobeiträge und Features auf (ein empfehlenswertes ist beispielsweise „Vom Grashalm im Sturm“ von Elisabeth Weilenmann).

 

Deine Romankapitel in „Rosa gegen die Verschwendung der Welt“ sind von Zitaten aus Großteils theoretischen Zitaten eingeleitet, die ein weites Spektrum an Wissen, an Theorie und an Philosophie rund um die sog. „Klimakatastrophe“, rund um Fragen des nachhaltigen Lebens und auch rund um die ökonomisch-sozialen Fallen, die diese Themen umgeben, eröffnen. Welche Rolle hatten die zitierten Werke für dich beim Schreiben, und welche Funktion haben diese Zitate im Roman?

 

Die Rolle beim Schreiben war: Anregung, Ideen-Bringer, Gedanken-Eröffner und Bestätigung, zusätzlich zur Wissenserlangung. Und die Funktionen im Roman sind vielfältige. Sie informieren primär. Zusätzlich sagen sie etwas über den Grundton, Inhalt, Interpretation bzw. Motivation des jeweiligen Kapitels aus. Sie verknüpfen oder vertexten Rosa mit der realen Welt außerhalb des Romans und dringen zugleich in den Roman ein, gleichsam als Anker der zeigt, dass Rosa keine fanatische Spinnerin ist, sondern ihre Ansichten auf faktischem Wissen beruhen. Darüber hinaus wäre es schön, wenn die Zitate inspirierend wirkten, Rezipient*innen zum Weiterlesen anregten (auch außerhalb des Romans), um tiefer ins Thema zu führen.

 

Rosa ist eine in allen Sinnen des Wortes eine „komische“ Figur – sie wird verlacht, sie lacht selbst, sie bringt zum Lachen, ist skurril, sie ist in sehr vielen Passagen durch satirische Stilmittel beschrieben oder wird humorvoll ausgeleuchtet. Wie siehst du das Verhältnis von Kritik und Komik in deinem Schreiben und in diesem Roman im Speziellen?

 

Ich habe eine Grundeinstellung (nicht nur beim Schreiben): Ernsthaftigkeit muss man sich leisten können. Oder anders formuliert: So lange man ernst ist, kann es nicht so schlimm sein. Da es in Rosa gegen die Verschwendung der Welt ums Eingemachte geht, einschließlich tiefer Trauer, Verzweiflung, Depression, Verlust und Tod, kann nur noch Humor helfen.

In diesem Roman bin ich der Frage nachgegangen, wie eine Person mit der eigenen Hilflosigkeit angesichts globaler Zerstörung aufgrund übermächtiger Wirtschaftsinteressen zurechtkommen kann. Alle aktuellen Daten zu Klimaerwärmung (und deren vielfältige Auswirkungen einschließlich schwindender Artenvielfalt) legen nahe, dass wir uns sehr bald mit einer multifaktoriellen, zivilisatorischen Katastrophe konfrontiert sehen werden. Aktuell wird das Thema psychische Auswirkungen des Klimawandels erst äußerst rudimentär wahrgenommen. Aber ich habe von vielen engagierten Menschen erfahren, die an einem bestimmten Punkt in ihrer Beschäftigung mit ökologischen Fragen mit großen psychischen Herausforderungen wie Burnout, Depression, Angst und Trauer zu tun hatten.

Wir werden als menschliche Gemeinschaft so viel Lachen brauchen, wie wir kriegen können.

 

Siehst du im „Poetry Slam“ weiterhin deine literarische Heimat und Inspiration, auch wenn du regelmäßig zu sog. „traditionelleren“ Buchpublikationen, die nicht oral, sondern wieder schriftfixiert sind, greifst? Oder beflügelt das eine das andere?

 

Poetry Slam war der Schubser (oder Startschuss) für meinen Schritt in die literarische Öffentlichkeit. Poetry Slam hat mir ermöglicht, mein Schreiben niederschwellig vor Publikum auszutesten. Ich habe dabei unendlich viel gelernt. Sowohl literarisch und performativ, aber auch wie mit Kritik umgegangen werden kann. Den hohen Stellenwert von gesprochener Sprache in meiner Arbeit gab es von Anfang an, schon vor Poetry Slam. Mittlerweile bezeichne ich mich nicht mehr als Slammerin (ich glaube, ich habe zuletzt 2010 bei einem Slam mitgemacht), aber ich empfehle allen, ihre Texte auf einer Slambühne auszuprobieren. Was mich beflügelt und was durch Poetry Slam definitiv unterstützt und befördert wurde: Den eigenen sprachlichen Ausdruck in möglichst viele Richtungen, mit möglichst vielen Mitteln ausdehnen und sich weder durch Form oder bewährte Konventionen und Erwartungen begrenzen lassen. Sprachliches Freiheitsstreben eben.

 

Am Ende deines Romans steht eine Pointe und ein wohl bewusst offenes, wenn auch nahezu fröhliches Ende – trägst du Rosa in einen weiteren Roman – dürfen wir also noch mehr von ihr erwarten?

 

 

Ja. Da mich das Thema Umwelt, oder sagen wir Welt, auch weiterhin beschäftigen wird, habe ich vor, in zehn Jahren den dritten Rosa-Roman zu schreiben. Und zehn Jahre später den vierten. Und so weiter, bis sich das Thema erübrigt.

 

 

Das Interview führte Elena Messner im Juni 2023.

Infos zum Buch: https://www.editionatelier.at/titel/rosa-gegen-die-verschwendung-der-welt