Infos und Kontakt: Redaktion 

Como: Ein Monat im Paradies

Rezension von Gianna Zocco

Zwar scheint es nicht völlig verfehlt, über biographische Parallelen zwischen Srđan Valjarević und dem Protagonisten seines Romans Como zu spekulieren, jedoch gibt es zu unserem Glück einen entscheidenden Unterschied: Anders als sein namenloser Protagonist hat sich Valjarević von seinem Aufenthalt als Rockefeller-Stipendiat im italienischen Bellagio – zumindest im Nachhinein – zum Verfassen eines Romans anregen lassen, der von eben diesem Aufenthalt handelt: Es ist die Geschichte eines jungen serbischen Autors, der durch Zufall ein Stipendium für „einen Monat im Paradies“ erhält, für einen Monat, den er offiziell mit dem Verfassen eines Romans verbringen soll, der aber in erster Linie „Pause“ vom Chaos in der Heimat und der Aussichtslosigkeit des eigenen Lebens bedeutet. Das „Paradies“, um das es sich hier handelt, heißt „Villa Serbelloni“ und befindet sich auf einem Hügel namens „Tragödie“, idyllisch am Comer See gelegen. Die Villa Serbelloni ist Aufenthalts- und Arbeitszentrum der internationalen intellektuellen Elite, die hier ihren vielfältigen Projekten – von der Erforschung der Malaria in Afrika über den Einfluss Sri Lankas auf die thailändische Kunst bis zum flämischen Lebensstil im 17. Jahrhundert – nachgeht. „Paradies“ ist die Villa für den Protagonisten zunächst vor allem insofern, als ihm hier Essen und Trinken – vor allem Trinken – im Überfluss geboten wird und er den ganzen Tag über tun und lassen kann, was er will. Und dazu gehört bei seiner derzeitigen Gemütsverfassung nicht: Schreiben. Was tut er dann? Eine erste Antwort könnte lauten: sich erholen, faulenzen. In diesem Sinn ist Como ein handlungsarmer Roman: Unser Protagonist schläft so lange, dass er das Zimmermädchen erschreckt, verbringt viel Zeit bei der Erkundung seiner Umgebung, verfängt sich in Plaudereien mit den Kellnern, die ihm dafür – statt des anstehenden Konzerts – ein ruhiges Plätzchen zum Anschauen des aktuellen Fußballspiels (und viel Alkohol) verschaffen, lernt die Lokale im Ort Bellagio kennen. Als „Paradies“ ist die Villa Serbelloni aber auch ein Ort, der nur einem ausgewählten Personenkreis zugänglich ist und an dem die Unterschiede zwischen diesen Ausgewählten und denen, die sich nur zum Wohl der Gäste dort aufhalten dürfen, deutlich spürbar sind. Unser Protagonist – im Schnitt mindestens zwanzig Jahre jünger als die anderen Gäste und selbst einen ganz anderen Lebensstil als diese gewöhnt – ist da natürlich fehl am Platz:

 

Niemals und nirgends war ich je so verschieden von den anderen gewesen, aber alles, was ich machte, schien mir völlig normal, das Zigarettenrauchen, Weintrinken, keine Krawatte, aber doch ein Sakko zu tragen, vollkommen normal. (S. 19)

 

Genau deswegen fühlt er sich unter den Einheimischen zunächst wohler als unter den Gästen der Villa: Er knüpft Freundschaften nicht nur mit den schon erwähnten Kellnern, sondern auch mit dem Barbesitzer Augusto und dessen Zwillingsbruder Luigi – zwei älteren Männern, die sich stets schreiend miteinander unterhalten – und mit Alda, die als Kellnerin in einer Bar des Ortes arbeitet und mit der die Kommunikation mangels Englischkenntnissen nur zeichnend, in ein eigens dafür beschafftes Heft, möglich ist. Als der Protagonist erfährt, dass Alda, Augusto und Luigi noch nie den Hügel Tragödie bestiegen haben, organisiert er einen Ausflug für sie, macht sie für einen Tag zu seinen Gästen auf der „Villa Serbelloni“.

 

Das im Blick, lässt sich die Frage danach, wie der Protagonist seine Tage verbringt, auch anders beantworten: Als einer von ganz wenigen Gästen der Villa lernt er seine neue Umgebung, die Menschen, aber auch die großartige Natur – davon zeugt eine Begegnung mit dem sagenhaften „goldenen Adler“ – wirklich kennen und knüpft Beziehungen, deren Ende nach Ablauf des Monats schmerzt. Manchmal scheint der immer gleiche Tagesablauf einen geradezu meditativen Charakter anzunehmen, der den Protagonisten „reinigt“, und es ihm ermöglicht, einige wirklich berührende Erlebnisse zu haben. Dadurch, dass er nach und nach auch unter den Gästen der Villa Freunde findet, wird er fast zu einer Art Vermittler zwischen der Welt der Villa und der des Dorfes. Doch auch diese Antwort genügt nicht, um zu beschreiben, wie der Protagonist seine Tage gestaltet. Denn natürlich erscheinen seine Streifzüge, das endlose Trinken, die Suche nach Ablenkung und Betäubung auch als Versuch des Verdrängens dessen, was ihn bei seiner Rückkehr nach Serbien erwartet. Bei Fragen nach seinem Leben in Belgrad gibt er sich einsilbig („Ja, es ist beschissen“) und ausweichend:

 

Als ich mich zu Tisch setzte, hörte ich, wie Herr Richard […] über Herrn Ronald herzog. „Weißt du, er ist eben aus Australien“, sagte er zu mir. „Ich verstehe nicht,“, sagte ich. „Wir sind aus Neuseeland“, sagte er verwundert. Damit wollte er mir etwas andeuten, etwas, das ich verstehen müsste. So etwas wie einen nachbarlichen Hass. Aber ich begriff es nicht. (S. 101)

 

Doch trägt gerade dieses Verschweigen und Ausweichen dazu bei, dass die Lebenssituation in Serbien beim Lesen stets präsent ist und dass Komik und Witz eine tragische Komponente erhalten. Besonders eindringlich vermittelt das die folgende Textstelle, bei der sich der Protagonist und die Kellnerin Alda zeichnend über ihre Zukunftspläne unterhalten:

 

Sie zeichnete mich. Es war nicht schwer, mich zu zeichnen. Nur ein Männchen mit einer Flasche. Ein großes Fragezeichen und einen Pfeil, der von diesem Männchen zum großen Fragezeichen führt. Es war ebenso wie damals, als wir ihre Situation zeichneten, außer dass ich das Worte Serbien unter dieses Männchen mit der Flasche schrieb. Aber hier war nichts mehr klar. Ich zeichnete einen großen Pfeil, der zum Planeten Erde führte. Das bedeutete, dass ich überallhin gehen und meine Chance suchen könnte. Es war das Gleiche wie auf ihrer Zeichnung die Stadt Mailand. Dann zeichnete ich einen anderen Pfeil und an seinem Ende eine Frau mit Dollars unter den Armen. Um sie herum schrieb ich Como. Das bedeutete, dass ich hier vielleicht eine reiche Frau kennenlernen würde, weil dies der Teil der Welt ist, wo reiche Leute leben. Am Ende zeichnete ich einen dritten Pfeil, an seinem Ende stand Serbien und ein Fragezeichen. Das ringelt ich ein. Das bedeutete, dass ich nach Hause zurückkehren und dass alles so sein würde, wie es war. (S. 146)

 

In diesem Sinn findet in diesem Roman über einen Monat im Paradies letztendlich eine Art bewusste Rückkehr ins Leben statt. Und das ist zwar bitter, aber man hat nur dieses eine. Wenn Como so etwas wie eine Botschaft enthält, dann ist es vielleicht diese Einsicht. Und es ist das große Verdienst des Autors und des Übersetzers, dass diese Einsicht auf so natürliche Weise vermittelt wird, über die Romanfiguren, die einem im Lauf des Lesens ans Herz wachsen, und über die einfache und dabei absolut angemessene Sprache. Ein sehr lesenswertes Buch!

 

 

Rezension von: Srđan Valjarević: Como. Roman. Aus dem Serbischen von Richard Götz. (Reihe: EditionZwei) Klagenfurt/Celovec: Wieser Verlag, 2008.

 

Gianna Zocco, Wien 2010